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Atomkraftwerke in Frankreich produzieren zu wenig Strom – EDF senkt Prognose für 2022

© Flamanville, ASN Mickael Clemenceau© Flamanville, ASN Mickael Clemenceau

Münster – Die Stromversorgung in Frankreich ist durch den Ausfall zahlreicher Atomkraftwerke bereits angespannt. Nach den unverhofften AKW-Ausfällen hat der staatlich dominierte Energieversorger EDF die Prognose für die französische Atomstromproduktion 2022 drastisch reduziert.

In Frankreich steigen die Börsen-Strompreise wegen der Nichtverfügbarkeit zahlreicher Atomkraftwerke bereits jetzt auf Rekordwerte, französischer Strom ist aktuell mit der teuerste Strom in ganz Europa. Das dürfte sich sobald nicht ändern, denn die französischen Atomkraftwerke werden in diesem Jahr deutlich weniger Atomstrom produzieren als geplant. Die finanziellen Auswirkungen für EDF sind noch nicht abschätzbar, die Auswirkungen auf die europäischen Strompreise auch nicht.

EDF reduziert Prognose 2022 für die Atomstromerzeugung – höhere AKW-Ausfallzeiten belasten
Frankreich betreibt 56 Atomkraftwerke, von denen in den vergangenen Wochen bis zu 17 Kernkraftwerke zeitgleich wegen technischer Probleme oder Wartungen nicht zur Verfügung standen. Die Probleme führen dazu, dass die Kernenergieerzeugung in Frankreich 2022 deutlich geringer ausfällt als geplant. Derzeit geht EDF von einem Rückgang der AKW-Stromerzeugung um rd. 10 Prozent aus. Das sind 30 Mrd. kWh weniger Atomstrom im laufenden Jahr.

Die Spannweite der erwarteten französischen AKW-Stromerzeugung wird danach durch EDF von 330-360 Mrd. kWh auf nur noch 300-330 Mrd. kWh reduziert. Ob die fehlende Strommenge durch andere Kraftwerke kompensiert werden kann, teilte EDF nicht mit. Insgesamt erreichte die Brutto-Stromerzeugung in Frankreich rd. 563 Mrd. kWh im Jahr 2019, im Pandemiejahr 2020 waren es 525 Mrd. kWh.

Grund für den hohen Strom-Produktionsausfall sind unverhoffte technische Probleme. Am Reaktor 1 des Kernkraftwerks Civaux (Vienne) wurden Defekte in der Nähe von Schweißnähten in den Leitungen des Sicherheitseinspritzkreises festgestellt. Dann folgte eine Kettenreaktion: Präventive Kontrollen an den Reaktoren Civaux 2, Chooz 1 und 2 ergaben ähnliche Mängel. Auch im Kernkraftwerk Penly sind bei Wartungsarbeiten ähnliche Fehler festgestellt worden. EDF hat daraufhin jetzt die Stilllegung der fünf Atomkraftwerke Civaux 1, Civaux 2, Chooz 1, Chooz 2 und Penly 1 auf bisher unbestimmte Zeit verlängert.

Fertigstellung des französischen Atomkraftwerks Flamanville 3 verzögert sich erneut
Eine weitere Hiobsbotschaft kommt vom Atomkraftwerk Flamanville 3. Am 11. Januar 2022 musste EDF den Zeitplan für das AKW-Projekt Flamanville 3 erneut anpassen. Gründe sind der aktuelle Betriebsfortschritt und die Vorbereitung der Inbetriebnahme in einem durch die Pandemie erschwerten industriellen Kontext, teilte EDF mit. Der Brennstoffladetermin wurde von Ende 2022 auf das zweite Quartal 2023 verschoben. Damit dürfte das Ersatz-Atomkraftwerk wohl nicht vor 2024 in Betrieb gehen.

Das französische Atomkraftwerk Flamanville mit einer Bruttoleistung von 1.650 MW ist das einzige im Bau befindliche Ersatz-Atomkraftwerk in Frankreich. Die Bauzeit und die Kosten für das Kernkraftwerk sind völlig aus dem Ruder gelaufen. Der Baustart war im Jahr 2007, die geplante Inbetriebnahme sollte ursprünglich im Jahr 2012 erfolgen. Stand heute wird die Bauzeit mehr als 15 Jahre betragen. Auch die Baukosten sind explodiert. Ursprünglich sollte das AKW-Projekt Flamanville 3,3 Milliarden Euro kosten, die letzte EDF-Mitteilung nennt eine Steigerung von 12,4 auf 12,7 Mrd. Euro (ohne Zwischenzinsen). Der französische Rechnungshof geht in einem Bericht von über 19 Milliarden Euro aus.

Sicherheitsbehörde ASN nennt Kernkraftwerke der EDF eine Schwachstelle
Die staatliche Sicherheitsbehörde ASN (Autorité de sûreté nucléaire) hat sich in einem aktuellen Statement zur Sicherheit der französischen Atomkraftwerke geäußert. Für den ASN-Vorsitzenden Bernard Doroszczuk hat das Jahr 2021 vor allem die industriellen Schwächen der Nuklearflotte und der Brennstoffkreislaufanlagen aufgezeigt und die Notwendigkeit einer besseren Berücksichtigung von Sicherheitsanforderungen unterstrichen. Dorosczuk benennt die Kernreaktoren von EDF als eine Schwachstelle. Die Häufung von geplanten und ungeplanten Ereignissen habe zu einer geringeren Verfügbarkeit der nuklearen Kraftwerksflotte geführt.

ASN mahnt an, die Spielräume bei der Gestaltung des Stromsystems aufrechtzuerhalten und zu vermeiden, dass Sicherheits- und Stromversorgungsfragen miteinander konkurrieren. Auch Probleme beim Bau des zentralen Lagerbeckens für abgebrannte Brennelemente, Betriebsschwierigkeit in der Melox-Nuklearanlage zur Herstellung von MOX-Brennelementen in Orano oder die schneller als erwartete Korrosion der Verdampfer in der Orano-La Hague Wiederaufbereitungsanlage würden die gesamte Kette des Brennstoffkreislaufs schwächen, so die Kritik von Dorosczuk.

Frankreich: Weiterbetrieb uralter Atomkraftwerke zeichnet sich ab
ASN ist der Ansicht, dass die energiepolitischen Entscheidungen für 2050 auf robusten Hypothesen beruhen müssten, die „in Bezug auf die Sicherheit gerechtfertigt sind und über ausreichende Spielräume verfügen, um größere Eventualitäten bewältigen zu können.“ So solle die Entscheidung gebührend abgewogen werden, 12 zusätzliche Reaktoren bis 2035 endgültig abzuschalten, es sei denn dies sei notwendig, um Sicherheitsspielräume einzuhalten.

ASN fordert EDF auf, innerhalb der nächsten 5 Jahre den Weiterbetrieb seiner ältesten Reaktoren zu rechtfertigen, um ihren Betrieb über 50 Jahre hinaus fortzusetzen. Falls darüber hinaus der Weiterbetrieb bestimmter Reaktoren über 60 Jahre hinaus eine Option wäre, würde dies eine eingehende Prüfung dieser Option bereits im Jahr 2025 erfordern. So brauche ASN ausreichend Zeit, um sich mit den Schlussfolgerungen der Untersuchung zu befassen.

Experten kritisieren immer wieder die Verlängerung des Weiterbetriebs alter Atomkraftwerke. Atomkraftwerke sind eigentlich für eine Betriebsdauer von max. 40 Jahren ausgelegt, der französische Kernphysiker Bernard Laponche hatte jüngst in einem Spiegel-Interview erklärt, dass die französischen und deutschen Kernkraftwerke ursprünglich nur für 30 Jahre Laufzeit konzipiert wurden.

© IWR, 2022


27.01.2022

 



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