Schweiz plant Atommüll-Endlager nahe deutscher Grenze
Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) in der Schweiz wurde bereits 1970 gegründet. Über 50 Jahre dauert die Suche nach einem Endlager in der Schweiz damit bereits an, im Jahr 1982 wurde zum ersten Mal gebohrt. Unter den aktuell drei für ein radioaktives Endlager in der Schweiz in Frage kommenden Regionen Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost ist nach dem aktuellen Untersuchungsstand Nördlich Lägern am besten geeignet. Das sorgt für Kritik und setzt Deutschland gleichzeitig unter Druck.
Nördlich Lägern bester Standort mit größten Sicherheitsreserven
Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) in der Schweiz ist nach den Untersuchungen der drei Regionen Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost zu dem Ergebnis gekommen, dass in allen drei Gebieten ein sicheres Atommüll-Endlager gebaut werden kann. Favorisiert wird von der Schweizer Behörde aber das Gebiet Nördlich Lägern im Zürcher Unterland in der Nordschweiz in unmittelbarer Nähe zu der Gemeinde Hohentengen im Landkreis Waldshut in Baden-Württemberg. Nach Angaben der Nagra haben die umfangreichen Untersuchungen gezeigt, dass Nördlich Lägern der beste Standort mit den größten Sicherheitsreserven ist. Die Qualität des Gesteins ist dort am höchsten, es schließt den radioaktiven Abfall auf lange Sicht am besten ein, weil das Gestein dort am stabilsten ist, so der Nagra-CEO Matthias Braun. Zudem sei der geeignete Bereich im Untergrund von Nördlich Lägern am größten - und damit auch die Flexibilität beim Bau des Lagers.
Interessant an der Entscheidung ist, dass die Nagra mit dem Standortvorschlag eine frühere Bewertung revidiert. 2015 hatte sie in Nördlich Lägern aus der damaligen Datenlage noch bautechnische Nachteile abgeleitet. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) beanstandete, diese Nachteile seien nicht ausreichend mit Daten untermauert. In der Folge wurden alle drei Gebiete ausführlich untersucht. Jetziges Fazit aufgrund der Ergebnisse: Die damalige Bewertung der Nagra war zu vorsichtig.
Die Nagra will nun bis voraussichtlich 2024 die Rahmenbewilligungsgesuche erarbeiten, die beim Bund eingereicht werden. Anschließend prüfen Behörden und Expertengremien die Gesuche, bevor der Bundesrat und das Parlament darüber entscheiden. Kommt ein Referendum zustande, hat das Schweizer Volk das letzte Wort. Bis die ersten Abfälle eingelagert werden, dauert es noch rund dreißig Jahre.
Kritik aus Deutschland: schlüssige und ausführliche Begründung für Standortwahl erwartet
Auf deutscher Seite sorgt die Entscheidung der Nagra für Irritationen. Geäußert hat sich unter anderem der Bürgermeister der Gemeinde Hohentengen, Martin Benz, deren Gemarkung rund 2,3 km entfernt von dem geplanten Atommülllager liegt. Der Umschlagplatz für bautechnische Anlieferungen/Abtransporte befindet sich sogar nur in ca. 650 m Entfernung von den Wohngebieten der Gemeinde. „Wir nehmen jedoch die Entscheidung vor allem mit großem Erstaunen zur Kenntnis, hat die Nagra doch selbst im Jahr 2015 diesen Standort zurückgestellt. In einer Sitzung der Regionalkonferenz wurde seitens der Nagra sogar so weit gegangen, dass die Zurückstellung in der Art begründet wurde, dass jeder renommierte Experte im Fall Nördlich Lägern der Ansicht wäre, Finger weg von diesem Standort“, sagte Benz. Wir erwarten daher eine schlüssige und ausführliche Begründung, weshalb es der Standort Nördlich Lägern vom ehemals zurückgestellten Standort hin zum präferierten Standort schaffen konnte“, so Benz weiter.
Das Umweltministerium Baden-Württemberg kündigte an, nun umgehend mit anderen betroffenen deutschen Behörden und Institutionen in einen Austausch über die Standortvorschläge einzutreten. „Wir nehmen den Endlagerstandort in der Region Nördlich Lägern als Kombilager für hochradioaktive sowie für schwach- und mittelradioaktive Abfälle im Wirtsgestein Opalinuston zur Kenntnis und werden die Pläne unserer schweizerischen Nachbarn nun vertieft prüfen. Sowohl was das Endlager als auch die erforderlichen Oberflächenanlagen anbelangt, wird das Land Baden-Württemberg weiter auf die sichersten Standorte drängen und bestmögliche Sicherheitseinrichtungen und Transportkonzepte einfordern“, betonte Umwelt- und Energieministerin von Baden-Württemberg Thekla Walker.
Schweizer Entscheidung setzt Deutschland bei der Endlagersuche unter Druck
Mit der Entscheidung für den Standort Nördlich Lägern dürfte die Schweiz auch für Druck auf die laufende Endlagersuche in Deutschland sorgen. Denn wenn auf Schweizer Seite die geologischen Verhältnisse von der Nagra als am besten geeignet eingestuft werden, stellt sich unweigerlich die Frage, ob die in Deutschland angrenzenden Flächen nicht einen ähnlich hohen Eignungsgrad als Standort für ein Atommülllager aufweisen.
© IWR, 2022
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